Vor meinem inneren Auge taucht sie wieder und wieder auf, die Kastanienallee mit ihren noch jungen Bäumen. Im Frühling das frische Grün, die stolzen Kerzen. Ein Baum am anderen säumt den Weg von der Landwirtschaft zum Helenhaus und runter bis zum Sportplatz gegenüber dem Hauptgebäude. Für mich, dem Kleinkind unermässlich groß und bereits dadurch faszinierend - immer gewesen. Im Herbst das bunte Laub, das riesige in fünf Finger aufgeteilte Blatt - und die vielen braunen, glänzenden Früchte in ihrer Stachelkapsel. Diese aufzutreten, ohne dass die darin liegende Kastanie Schaden nimmt, ist bis heute für mich eine nahezu "heilige" Handlung. Das Sammeln und Basteln mit den glänzenden runden, manchmal auch abgeflachten Kugeln, deren Innereien zunächst weich, später auch hart sind war für mich immer reizvoll. Sammelte ich als kleines Kind zunächst für mich, tat ich's später für und mit den kleineren aus dem Sonnenhaus. Es entstanden unterschiedlichste Figuren, Tiere mit Kastanienköpfen und Bäuchen, Streichholzbeinen - manchmal auch Eichelfüßen. Doch die Eicheln hielten nie so gut.
Noch heute kann ich zu dieser Jahreszeit an keiner glänzenden Kastanie vorbei. Bei jedem Spaziergang habe ich meine Tüte dabei. Ob für ein "Kastanienbad" (statt Kugelbad) im heilpädagogischen Kinderheim in welchem ich vor Jahren gearbeitet hatte, oder zum Rechnen für meine heutigen Schüler /Innen. Das spielt keine Rolle.
Seit gestern bin ich wieder am Sammeln und Löcher bohren in die Früchte. Ich möchte mit meinen derzeitigen Erstklässlern Zweier, Dreier, Vierer, Fünfer.... Ketten basteln.
Seit der Jugend der Kastanienalle ist ein halbes Jahrhundert vergangen. Ich weiß, die Kastanien auf dem Immenhof sind längst alt und krank. - Auch diesen Zustand sehe ich vor dem inneren Auge: verknöcherte, kleine Bäume mit braunem, vertrocknetem Laub - auch im Sommer.
Und doch: Welche Erhabenheit spricht aus den Blütenkerzen im Frühling?
Hier eine Aufnahme aus den 80ger - Jahren:
Liebe Grüße, Uli