Noch ein Puzzlestückchen zur Immenhof- Geschichte. Aus dem Buch "Die Arbeiterwohlfahrt in der Zeit von 1933 bis 1945" von Heinz Niedrig (Marburg 2003), S. 41 f:
"Am 5. Mai 1933 wurden alle Mädchen vom AWO-Erziehungsheim 'Immenhof' von NS-Leuten mit Bussen abgeholt und in andere Heime gebracht. Lotte Lemke schilderte diese Szene eindringlich mit folgenden Worten (im Videofilm 'Lotte Lemke erzählt'):
'Ein Anruf des Landesjugendamtes Berlin Anfang Mai teilte mir mit, dass am nächsten Tag die Mädchen aus dem 'Immenhof' abtransportiert werden durch die neuen NS-Oberen. Ich bin sofort hingefahren und habe mit allen Erzieherinnen gesprochen und abends eine Versammlung mit allen Mädchen anberaumt und ihnen gesagt, was ihnen bevorsteht. Die Mädchen waren ja sehr radikal, waren z. B. engagierte Kommunistinnen.
Und ich sagte ihnen: Benehmt euch, wie wir euch hier zu erziehen gehofft haben, und sie gingen darauf gefasst ein.
Am nächsten Morgen geschah etwas, was ich nie im Leben vergessen werde: Wir sind bereits früh um sieben Uhr alle zusammen gekommen mit unserer roten Fahne und wir gingen über das ganz große Immenhof-Gelände und sangen 'Brüder, zur Sonne zur Freiheit' und auch, was ich heute nicht mehr singen kann nach allem Geschehen: 'Der Mensch ist gut'. Als wir zurückkamen, warteten bereits die Busse und die Mädchen mussten einsteigen. Und sie haben nicht revoltiert, nicht mit Steinen geworfen, nicht die Leute beschimpft, sondern sie sind weinend in die Busse eingestiegen. Und manche gingen in eine schreckliche Zukunft ...
Für uns als junge Sozialistinnen war der 'Immenhof' ein wunderbares Beispiel dafür, wie man pädagogische und sozialistische Reformvorstellungen in die Praxis umsetzen kann. Wir wollten dort beweisen, dass es auch für sog. gefährdete und verwahrloste Mädchen nicht nötig ist, junge Menschen hinter Mauern und verschlossenen Türen einzusperren, wo pädagogisches Bemühen nur auf Disziplinierung hinauslief.'
Der 'lmmenhof' sollte laut Deutscher Arbeitsfront zunächst ab Mai 1933 ein 'Arbeitslager' werden, dann war das Heim als Gestapo-Schulungsheim im Gespräch, schließlich stand es fast ein Jahr leer, nur die Gartenbetriebe arbeiteten weiter, bis es später als NS-Erholungsheim für Mütter diente."