setze sie aber jetzt hier hinein. Mein Beitrag ist also nicht in den Fortlauf des Berichtes von Uli einzuordnen, sondern eine Stellungnahme zum Buch eines Lesers, der die beschriebene Zeit kennt. Allerdings nicht die Spätzeit der DDR, in der der Schriftsteller lebte. Ulis Bericht ist prima, mein Beitrag hier also keine Kritik daran. Er bezieht sich nur auf eine telefonische Äußerung von Uli , auf die ich nicht antwortete und zuerst nicht wußte, warum es mir die Sprache verschlug. Es ging um das Herzlich Lachen- können. Beim Schreiben fiel mir ein, vielleicht ist es wichtig so einen Zusatztext allgemein hier hineinzusetzen.
DerTurm ( Uwe Tellkamp)
Ich hab lange nachgedacht, warum ich im Gegensatz zu Uli so gar nichts zum Lachen darin finde. Jetzt ist es mir klar. Uwe Tellkamp beschreibt den Verfall in der DDR-Zeit mit großer einfühlsamer Genauigkeit bis in die kleinsten Details. Dabei berichtet er über Generationen hinweg. Generationen, die in meiner DDR-Zeit lebten. Und im Gegensatz zu Uli hab ich diese Zeit wirklich erlebt. Ich sehe also beim Lesen nicht nur die immer grauer werdenden Fassaden, das Abbröseln der Außenfarbe, die kaputten Regenrinnen, die mühselig gegen die Kälte abgedichteten Fenster und Mauerrisse, die blasenziehenden Tapeten, den Schimmel in den Ecken, die notdürftig geflickten Stromleitungen , die immer wieder versagenden elektrischen und sonstigen Geräte, die mit wenig Wissen repariert, die mühevoll mit Pflaster geklebten geliebten alten Teekannen, Tassenhenkel, die immer wieder einem entgegenfallenden Schranktüren, Schubladen, Klinken......kein Moment im Alltagsleben, wo man sich auf die Funktion eines einst sehr gut angefertigten Produktes verlassen kann ( schreibe ich “konnte“, klingt es so schön längst überwunden), wo man nicht in die Unzuverlässigkeit geworfen wäre. Ebenso im Außenleben beim Benutzen der Straßenbahn, der Eisenbahn, des Busses. Schon ob man überhaupt in den gewählten Ort innerhalb der DDR fahren durfte. Ja, was man überhaupt durfte, war unsicher. Wie viel Anstehen an endlosen Schlangen bei Behörden, wo man dann mit nicht verständlichen Gründen den Antrag abgelehnt bekam oder auch plötzlich genehmigt. Gnade, absolute Abhängigkeit von nicht einsehbaren Mächten .
Ja, Witze gab es viele. Gelacht wurde auch heimlich über sie. Ja, natürlich Humor. Der aber war Nothilfe, schwimmend auf der Verzweiflung des Nichtsdagegentunkönnens. Vielleicht ein Stückchen Hilfe des sich Miteinanderwissens . ES WAR MENSCHLICH WÄRMER??? Wird heute von vielen behauptet
Eine Grundkälte, nicht nur die mit TH. meßbare, die , natürlich besonders im Winter, bis in die Knochen kroch. Kachelöfen ( Zentralheizung gab es damals kaum) , Kanonenöfen, mühselig jeden Morgen frierend befeuert, und am Weiterbrennen gehalten und dennoch die mit den Ersatzheizungsmaterialien nur selten wirklich das Zimmer voll erwärmten.. Oft nicht gewärmte Straßenbahnen, Eisenbahnen, Busse. Geschäfte.
Nein vor allem die nicht messbare Kälte der Unpersönlichkeit, des Rückzugs der Menschen in graues, geducktes Verhalten. Kein offener Blick, zu Boden schauende Augen oder Augen, die irgendwo ins Nichts schauten, weil das sie Umgebende kein Ansehen lohnte, weil ein zu offener Blick ein inneres Denken verraten konnte. Fast ein Aufhören des eigenen Denkens. Ein an Raum gewinnendes hoch kompliziertes Spinnennetz von mitmenschlichem Verhalten, das sich in Nischen ausbreitete. Dort gingen die Kinder zu den jungen Pionieren, später zur FDJ. Die Väter und Mütter waren in der Partei. Sie verhielten sich dem Apparat gegenüber absolut unauffällig, sie schlängelten sich durch. Sie halfen sich gegenseitig mit ihren unterschiedlichen Beziehungen zu irgendetwas in ihren unterschiedlichen Berufen das Gewünschte zu erreichen. So wurden allmählich innerhalb der Wohnung zuerst die Dinge erneuert: Badewannen , Leitungen, Toiletten, dann Dächer repariert, Häuschen erbaut, auch wenn es Jahre dauerte, über Beziehungen allmählich alles Notwendige zusammen zu klauben, der Zaun repariert, Autos erlangt, sogar Westkleidung ergattert. Ja, es stimmt, was heute so viele behaupten, es ging ihnen tatsächlich gut. Sie erreichten fast alles, so lange sie sich an die Spielregeln hielten. Sich in ihren vielerlei Schwindeleien nie verrieten, sich gegenseitig rechtzeitig informierten. Besonder ganb es da die, DIE DABEI SOFORT DIE HÄNDE UND JEGLICHEN KONTAKT VON DEM ( denen gab es kaum) LIEßEN, der sich ,und dadurch sie, durch irgendein Verhalten in wirkliche Gefahr brachte, vom System bestraft zu werden. Diese schlossen absolut alle aus, die nicht wie sie, sich anpassten. Ich meine also nicht all die Menschen, die in der DDR blieben und sich bemühten, trotz allem irgendwie anständig mit möglichst vielen ihrer Werte durchzukommen. Das kostete wahrlich Mühe! Aber ich hatte eine unheimliche Wut auf diese andern, die durchaus in der Lage gewesen wären,von Bildung und Vermögen her, sich besser zu wehren. Die eigentlich ein Stück Stütze der Gesellschaft hätten sein müssen. Sie wären zahlreich genug gewesen Gegenmeinung zu vertreten. Menschen, die in ihrer Stadt eigentlich etwas galten. Aber ihr Wertesystem wurde allmählich hohl und erstarrte. Es lebte nicht im Jetzt und wirkte da aktiv , sondern galt nur Werken längst Verstorbener, je länger verstorben, desto ungefählicher, dem System negativ aufzufallen. Und in diesem Bereiche bewegten sich auch die Gespräche in diesen Familien, auch mit den Kindern . Gebildet, aber immer irgendwie unpersönlich, weg vom Konkreten .
Die wirklich zum System Gehörigen, im Buch Ostrom bezeichnet, konnte man meist deutlich erkennen und, wenn man in ihrer Ideologie genau Bescheid wusste, sich gegen sie sogar mit ihren eigenen Thesen in Krisensituationen wehren. Manche unter ihnen waren sogar mit Werten erreichbar, weil sie selber wirklich welche hatten und glaubten, sie in diesem System erzielen zu können. Das waren aber nur sehr wenige, oft hatten sie schon unter den Nazis gelitten. Die andern waren rigoros nur hinter eigenem Fortkommen her und vertraten nicht selten mit innerem Vergnügen die menschenverachtenden Gebote und Strafmaßnahmen. . Ich haßte sie und duckte nicht. Ich war nicht doof unbekümmert, aber meinen Rücken verbiegen ließ ich mir nicht. Ging nicht in die FDJ und hatte natürlich keine Beziehungen . Und also war ich ausgegrenzt, von denen, die sich ja NUR, anpaßten ( Im Buch die Turmleute) , und natürlich von den überzeugten Mittätern. Und auf der Hut mußte ich vor beiden Gruppen sein.
Aufgenommen fühlte ich mich in der Natur, meist in mir erreichbaren Vorortvierteln. All die kleinen Wege, die begrasten Unkrautränder, die beschneiten Bäume an den kleinen Straßen, die Schneeschlangen auf den Zäunen, die Ausblicke von Brücken, da war ich nicht einsam, nicht unmittelbar gefährdet. Das Buch läßt die durchgehende Kälte, auch die zwischenmenschlichen Beziehungen lassen das Frösteln fühlen( siehe Christian, sein Vater Richard), und auch dies innere Aufatmen draußen beschreibt das Buch.
Es ist ein ausgezeichnet, ein sehr gut geschriebenes Buch, Uli. Da stimme ich Dir voll zu. Nur Lachen, Uli, kann ich an keiner Stelle. Es bleibt mir im Hals stecken. Ich les das Buch anders, nein, ich erleb es anders.