Beiträge von idenck im Thema „Herr Roth - Bernstein und seine Laienspiele (früher Jugendhof)“

    Danger - Explosives!
    Rolf (12-15)


    Onkel Lucky aus Kentucky ist ein makabrer Reißer voll Spannung, Spaß und Klamauk. Nichts für zarte Gemüter. Das Kakaopulver ist Hundeasche, der Mann im Taucheranzug kommt aus dem Schrank und foppt die Polizei, die ohnmächtige Tante wird in einer Kiste versteckt und das Päckchen mit der Sprengladung ... geht zunächst noch nicht hoch. Bis die Wunderkerze längst ausgebrannt und die "Gefahr" vom Publikum vergessen ist. Dann aber: Knall -peng - Licht aus - alles dunkel, bis auf einige verspätete Ladycracker.
    Großes Hallo im Saal. Beifall. Und nun natürlich wieder Licht.


    Die erfolgrei­chen Spielerinnen und Spieler setzten sich wie gewöhnlich bei "Heimspielen" auf die Rampe und hörten sich Lob und Tadel an. Diesmal nur Lob. Apropos „Spielerinnen“: Im Textbuch wurde empfohlen, auch die weiblichen Rollen durch Jungen spielen zu lassen - wegen des größeren Klamauks. Auf diese Weise durfte ich Röcke anziehen, schön altmodisch lange, und die etwas verrückte „Tante“ spielen mit einer Dutt-Perücke. Zum Schieflachen! Klammheimlich hatten einige jüngere Kinder mit ihrem Erzieher den Saal ver­lassen. Mussten wohl schon ins Bett. Oder? –


    Erst nach unserer Rückkehr in die Gruppen erfuhren wir, dass einigen der Schrecken im wahrsten Sinne des Wortes in die Hosen gegangen war. Einige Stühle haben wir dann noch untersucht und trocken gewischt. Wer denkt denn schon an so was?
    Beim gleichen Spiel passierte uns bei einer anderen Vorstellung etwas ganz an­deres - man könnte auch sagen, das Gegenteil. Und das kam so:


    Mit der Hauptschule in der Nachbarstadt Schneverdingen hatten wir einen ge­meinsamen Theatervormittag vereinbart. Die Stadtmädchen spielten "Dreißig weiße Erbsenblüten", auch so ein Klamaukstück, und wir den "Onkel Lucky aus Kentucky". Die Mädchen hatten mit viel Fleiß und noch mehr Krepppapier die Bühne als Hutsalon hergerichtet. Ein Riesenregal in Bühnenbreite voller Papier­hüte. Die Erbsenblüten waren ja Dekoration für einen supermodernen Hut, der von einer Spionin geklaut werden musste.


    Na ja, die Mädchen haben gut gespielt. Sie räumten die Bühne tadellos ab. Dann stellten wir Kiste, Schrank und Sprengstoff hin und begannen unser Spiel. Alles lief gut. Ein Lacher kam nach dem anderen. Der Saal „ging mit“. Wir waren zufrieden.
    Schließlich begann wenige Minuten vor Schluss die Vorbereitung zur Zündung. Ein Mitspieler musste, mehr zur Ablenkung des Publikums, eine Wunderkerze an der "Zündschnur" anbrennen. Völlig harmlos. Bis der Sprengsatz vergessen wurde. Dann aber - genau auf das Stichwort im Text - musste ich, hinter dem Schrank verborgen, die zusammengebundenen Zündschnüre von zwei Böllern scharf machen, das heißt anbrennen. Auf die Sekunde genau! Es blieb etwas Zeit, noch ein paar andere Knaller scharf zu machen, damit die Sache sich auch lohnte. Dann musste ich den Hauptschalter in die Hand nehmen, um bei der Explosion alles Licht auszuschalten. Jetzt: Peng! - Blackout! - Hat geklappt! - Oder? –


    Da war doch noch etwas Licht im Nebenraum der Bühne! - Licht? - Nein! Es brennt! Tatsächlich! Feuer!


    Die Mädchen hatten ihren Riesenstapel Krepppapier in den Nebenraum geworfen, und genau dorthin war einer der Böller gesprungen. Unser Spielleiter, der - be­reit zum Vorhangziehen - in der Nähe stand, war eher da als ich und sprang mit beiden Füßen in dem brennenden Keppapier herum, um das Feuer auszutrampeln. Zu zweit gelang uns das so schnell, dass im Saal niemand etwas gemerkt hat. Nur der Hausmeister hat sich später gewundert, dass die Kulissenvorhänge leicht angekokelt waren.


    Ja, hier fehlte uns das Wasser, im Gegensatz zu dem anderen Spiel mit den klei­nen Hosenmätzen, wo zuviel da war. Aber ehrlich: Die Panne mit den feuchten Stühlen war uns lieber als der Brand der Hüte. Das hätte schlimm ausgehen können.


    Seitdem standen auf der Bühne bei diesem Spiel stets zwei Eimer Wasser bereit. Und wenn wieder einmal jüngere Kinder dem Spiel zuschauten, haben wir sie vorher gewarnt: "Gleich gibt es einen großen Knall - erschreckt nicht - das ist bloß Spaß!"


    :hehehe: :hehehe: :hehehe: :hehehe: :hehehe: :hehehe: für alle Mitwirkende!


    Ende

    Straßentheater
    Conny (12-15)


    "Erdmännchen" hieß das Märchenspiel, das wir für Weihnachten einstudiert hatten. Aber wir bekamen schon für den 2. Advent eine Einladung, in Soltau zu spielen, obwohl der Text noch etwas wacklig war. Wir sagten trotzdem zu.


    Kostümiert, geschminkt und mit allen Kulissen und Requisiten beladen, bestie­gen wir den Kleinbahnzug zur Kreisstadt. Unsere übermütige Laune schlug jäh um, als der Zug auf freier Strecke plötzlich scharf bremste. Ein PKW war an einem unbeschrankten Bahnübergang in den letzten Waggon gefahren und stand nun schräg und demoliert auf den Schienen. Der Zug hätte weiterfahren können, durfte aber nicht, ehe die Polizei den Unfall aufgenommen hatte.


    Zunächst war das ja interessant für uns. Aber das dauerte und dauerte, und nichts geschah. Die aufkommende Langeweile überbrückte unser Spielleiter, indem er das Textbuch zur Hand nahm und Stichwörter rief: "Ihr Halunken! Ihr habt das Seil durchgeschnitten!" Darauf antwortete Karl: "Was sagst du da?" Und darauf Grete: "Sie haben das Seil durchgeschnitten, ich habe es gesehen!" "Du lügst!" "Das Seil ist gerissen."


    Und so weiter. Wir riefen uns unsere Textstellen gegenseitig zu und hatten Spaß an dieser Art des Lernens. Bis nach etwa 45 Minuten die Fahrt endlich weiter­ging. Entsprechend verspätet erreichten wir Soltau. Wir mussten uns nun beei­len.


    Der Fußmarsch durch die Stadt war weit. Aber man stelle sich vor: Da liefen durch die Dezemberkälte König und Königin in prachtvoller, hermelinbesetzter Kleidung, Kanzler und Hofmarschall, Königstöchter und Hofdamen in Seide und Brokat. Das struppige Erdmännchen mit Rauschebart und der Schlossgärtner trugen einen riesigen Papp-Apfelbaum, während die drei Brüder sich mit einer Brunnenkulisse mühsam abschleppten.


    Plötzlich rief einer vom Schluss des Zuges nach vorn: "Jakob, so hilf mir doch! Der Drachen will mich in den Brunnen ziehen!" Und prompt tönte es zurück: "Ach, das ist doch der Hans." - "Der Hans ist aber leicht geworden." - "Das ist vielleicht gar nicht der Hans, sondern..." - "Lass mich mal gucken!" - "Hilfe! Ich falle!" Und so weiter. Wir hatten Spaß daran, dass die Leute stehenblieben, verwundert die Köpfe schüttelten und schließlich lachten. Das war die lustigste und kurzweiligste Textprobe, die ich je erlebt habe.


    In bester Laune und Hochstimmung kamen wir im Saal an. An weiß gedeckten Tischreihen saßen hier weit über hundert Senioren bei Kaffee und Kuchen, fast lautlos, in bedrückter Atmosphäre wie bei einem Begräbnis. - Kichernd richte­ten wir uns die Bühne her. Der Brunnen hatte an der Rückseite eine Öffnung mit einem verdeckten Kriechgang hinter die Kulisse. Wir freuten uns schon auf die Szene, in der plötzlich das Erdmännchen seinen wilden, struppigen Kopf über den Brunnenrand hebt und mit grausliger Stimme krächzt: "Was willst du?!" Der Schreck war vorprogrammiert.


    Es wurde eine gelungene, ja, turbulente Aufführung, weil wir so aufgedreht wa­ren. Das verdankten wir - zum Teil mindestens - dem unglücklichen Autofahrer, dessen Pech uns auf die Idee dieser lustigen Textproben gebracht hatte.



    Kleine Liebe - große Liebe?
    Brunni (7-14)


    'Bergkristall", nach der Novelle von Adalbert Stifter, hatte es uns angetan. Das heißt: Wir wollten das Stück unbedingt spielen, obwohl es nicht für Darsteller im Kindesalter geschrieben ist. Alle Schwierigkeiten konnten wir meistern, auch das winterliche Bühnenbild und die Eishöhle. Aber die beiden kleinen Kinder in den Hauptrollen? Eigentlich auch kein Problem, wenn diese Rollen nur nicht so lang gewesen wären! Es mußte ja nicht nur der Text gelernt werden. Schwerwiegender war die Anstrengung, über alle vier Akte, also zwei Stunden lang ständig konzentriert spielen zu müssen.
    "Nein, das können wir keinem Kind zumuten. Ich erlaube das nicht." Punkt! Die Heimleiterin hatte gesprochen. - Also verzichten?


    Da hatte eine Erzieherin einen genialen Einfall: Wir halbieren die Rollen und setzen vier Kinder ein statt zwei. Das eine „Geschwisterpaar“ spielte den ersten und zweiten Akt, und dann kam die Ablösung im selben Kostüm mit anderen Kindern. Ob das jemand merkt? - Um es vorweg zu nehmen: Keiner hat den Schwindel gemerkt.


    Außer mir, denn ich war eins der Kinder. Damals war ich mit acht Jahren so klein wie eine Fünfjährige. Mein „großer Bruder" (10 Jahre) musste mich durch den Schneesturm huckepack tragen. Sonst weiß ich vom ganzen Stück nichts mehr. Aber, dieser Junge! "Der musste mich durch mein ganzes Leben tragen", dachte ich damals. Ich himmelte ihn seitdem an. Er wurde mein Idol. Er war nicht nur im Theaterspiel mein Beschützer, sondern auch später noch bei Streite­reien mit anderen Kindern. Immer dachte ich, dass wir einmal heiraten wurden. Von anderen Jungen hielt ich mich fern - jahrelang.
    Eines Tages, ich war bereits in der Ausbildung, begegneten wir uns zufällig auf dem Immenhof. Er konnte sich kaum an mich erinnern und stellte mir seine Frau vor. Mir wurde richtig schwarz vor Augen. Diese Enttäuschung! Eine Welt brach für mich zusammen. Und dabei hatte ich doch immer auf ihn ge­hofft, ja, auf ihn gewartet. Es dauerte einige Tage, bis ich endlich klar sehen konnte:


    Das war doch nicht seine Schuld. Er war gar nicht „untreu“. Denn er hatte ja überhaupt keine Ahnung von meinen Gefühlen und Hoffnungen. Woher auch? Ich hab's ihm ja nie gesagt, auch nie gezeigt. Oder war ihm damals die Last, mich durch den Schnee tragen zu müssen, zu schwer gewesen?


    Mir jedenfalls wäre es keine zu schwere Last gewesen, mit ihm nach Australien auszuwandern, wohin er mit seiner Frau gegangen ist. Ob er dort wohl glück­lich geworden ist - ohne mich?


    Fortsetzung folgt ...

    Kleider machen Leute
    Holger (12-15)


    "Polizeirevier Nummer 8" heißt das Stück, das wir einmal zu Weihnachten spielten, weil es um ein Erlebnis am Heiligabend geht. Natürlich brauchten wir dazu zwei Polizisten, die möglichst echt aussehen sollten. Umformen? Durften von der Polizei nicht verliehen werden. Der Zufall half. Die Hamburger Polizei hatte gerade eine neue Uniform eingeführt. Und ein Bekannter aus dem Dorf, der in Hamburg Dienst tat, lieh uns seine alte Uniform, die ja jetzt nicht mehr getragen werden durfte. Sie war dunkelblau, und nicht wie in Niedersachsen grün. Aber wer merkt das schon, hier auf dem Dorf?


    Ich war ein Polizist mit schicker Uniform. Dazu gehörten auch ein langer Leder­mantel und eine weiße Dienstmütze. Im Spiegel konnte ich mich nicht sattsehen. Ich glaube, ich habe sogar ganz anders gesprochen als sonst. Richtig dienstlich. Naja, ich hatte ja schon eine tiefe Stimme, wenn auch von Bartwuchs noch nichts zu sehen war. Dafür war ich aber schon größer als mein Vater oder mein Lehrer. Noch ein Blick in den Spiegel: Toll, dieser Kerl! Ein Wunder, dass mir nicht die Knöpfe vom Mantel wegplatzten, so stolz geschwollen war meine Brust.


    Am 3. Advent sollten wir im Gemeindehaus anlässlich des Weihnachtsbasars der Hauptschule spielen. Geschminkt und kostümiert erwarteten wir unseren Auf­tritt. Da erfuhren wir, es würde noch eine Stunde dauern, bis der Basar schließt. Dürfen wir da inzwischen hingehen? - Ja, zieht euch etwas drüber, es ist kalt! - Etwas drüberziehen? Brauchte ich nicht. Hatte ich doch schon: Meinen Polizei­mantel. Also Mütze auf und los! Mein "Dienstkollege" und ich.


    Langsam stolzierten wir mit ernsten Mienen über den Hof, durch die Gänge und Flure und Zimmer, wo es noch turbulent zuging. - Doch, was war das? Eigen­tümlich: Überall, wo wir auftauchten, wurde es deutlich ruhiger, streiften uns manchmal etwas ängstliche Blicke, trat man respektvoll zur Seite, hielt man mit dem Gebrüll zurück. Dort, wo sich eben einige Jungen kloppten, war plötzlich Friede. Der Bursche, der gerade seinen Pappbecher ins Gebüsch geworfen hatte, bückte sich, ihn aufzuheben. In einer dunkleren Ecke schmuste ein Junge mit einem Mädchen und - hui! - waren sie auseinander, als wir kamen. Wir spra­chen die ganze Zeit kein Wort. Wir spielten nicht unsere Theaterrolle. Wir wollten das alles gar nicht. Nur diese Uniform, die weiße Dienstmütze, der lange, schwere Ledermantel, nur unser "Kostüm" erzeugte diesen Respekt. Üb­rigens auch bei den anwesenden Erwachsenen. Wie heißt doch das Sprichwort? "Kleider machen Leute!"
    Wir brauchten um das Gelingen unseres Spiels nicht mehr zu bangen. Jedenfalls nicht um die Glaubwürdigkeit von uns zwei Polizisten - aus der 8.Klasse.



    Viel zu feierlich - so geht das nicht!
    Ingo (7-11)


    Als ich in "Der kleine Tim und die Sternrose" die Titelrolle spielen durfte, war ich gerade acht Jahre alt und der Kleinste in unserer Schule. Alle Mitspieler wa­ren mindestens zwölf, meistens schon vierzehn.


    Als Tim war ich ein verzauberter Hampelmann, musste also klein sein. Schön und gut. Aber in meinem Spiel wollte ich „ganz groß“ sein. Die anderen sollten mich nicht mitleidig belächeln, sondern staunen. Denen wollte ich es zeigen!


    Da musste z. B. der tote Hampelmann aus Pappe plötzlich lebendig mitten auf der Bühne sitzen: Licht aus - Knall - Licht an - und da saß ich, in Sekunden­schnelle. Fragt mich nicht, wie sehr mir dabei der Po weh getan hat, denn Büh­nenbretter sind hart, und ich sprang so schwungvoll auf die Planken wie manchmal ins Bett.


    Im letzten Bild aber musste im Spiel mein „Leben“ zu Ende gehen oder beinahe zu Ende, weil die Weihnachtsnacht fast vorbei war, und der Matthias die Stern­rose noch nicht gefunden hatte. Diese „Sterbeszene“ übte ich heimlich auf einem Hocker vor dem Spiegel im Waschraum. Immer wieder verbesserte ich an mir das Hängenlassen der schlaffen Arme und des Kopfes, das unsichtbare Atmen, das Anwinkeln eines Knies und den Sitz meiner Zipfelmütze.


    Dann kam es zur ersten Bühnenprobe. Wie bei anderen wichtigen Szenen dieses Spiels bekam auch mein Auftritt eine musikalische Untermalung. Bei dunkler Bühne erklang aus Hansel und Gretel von Humperdinck der Abendsegen. Dann kam von einem Punktscheinwerfer ganz langsam Licht auf meinen Platz. Ich saß auf einem winzigen Tischlein, regungslos und stumm an den Bühnenpfeiler ge­lehnt - ein Bild des Jammers. Völlig beeindruckt von der Licht- und Klangwir­kung spürte ich: Mein Spiel ist klasse! Ich bin der Beste!


    Plötzlich zerriss die Stimme des Spielleiters mit hartem Klang die andächtige Stille: "Schluss! - Saallicht! - Tonband aus! - So geht das nicht. Das ist viel zu feierlich. Da schwimmt uns ja der Saal weg vor Tränen."


    Ich muss wohl in diesem Augenblick noch jämmerlicher ausgesehen haben vor lauter Enttäuschung. Denn „der Chef“ kam zu meinem Tischchen, legte seine Hände auf meine Schultern und sagte tröstend: "Das ist doch nicht deine Schuld. Im Gegenteil: Du warst so spitzenmäßig gut, da war die Musik einfach zu viel des Guten. Du weißt doch: Allzu süß schmeckt nicht. Wir üben diese Szene noch mal, aber ohne Ton, nur mit deinem stummen Spiel. Mach's genauso wie eben."


    So haben wir es dann auch gelassen, in jeder Aufführung. Einmal tätschelte eine Mutter beim Hinausgehen meine Wangen und lobte mich: "Kind, du warst so ergreifend. Beinahe sind mir die Tränen gekommen."


    Naja - beinahe. Mehr sollte es ja auch nicht sein. Denn allzu süß schmeckt nicht mehr.




    Wir spielten in einem richtigen Theater
    Frank (11-15)


    Ja, ob ihr es glaubt oder nicht: Im Stadttheater Lüneburg, also auf einer richtigen, großen Bühne sollten wir spielen, eine Nachmittagsvorstellung für mehr als 600 Senioren mit Musik, Gesang und eben auch unserem Spiel. „Was sollen wir tun?“ hieß es. Das ist ein ziemlich spannendes Problemstück, das wir schon mehrere Male mit Erfolg gespielt hatten. Wir zweifelten nicht eine Sekunde daran, dass wir Beifall und viel Lob ernten würden.


    Dann kam aber Fehlschlag auf Fehlschlag.


    Das lange, enttäuschte, ärgerliche Gesicht unseres Spielleiters verhieß nichts Gutes: "Wir kriegen die Bühne nicht zum Proben, nicht für fünf Minuten! Ich kann euch nur sagen: Spielt ganz vorn an der Rampe und sprecht laut, lauter am lautesten - schreit euren Text! Souffleurkasten gibt es nicht! Ihr müsst euch selbst helfen, wenn jemand steckenbleibt."


    Den zweiten Schlag kriegten wir, als wir die Requisiten auf die Bühne stellten. Der dunkle, geschlossene Vorhang starrte uns drohend an und schien endlos breit zu sein, die Bühne noch viel breiter. Wir waren vier Meter Bühne bei 3,50 m Vorhangbreite gewöhnt. Das hier war mindestens dreimal so viel, - ach nein, noch mehr!


    Beim Öffnen des Vorhanges kam der dritte Schlag: Da tat sich vor uns eine Vorbühne auf, die noch breiter war und etwa vier Meter tief. Davor gähnte der dunkle Zuschauerraum wie ein riesiges schwarzes Loch, das uns gleich ver­schlucken würde. Uns rutschte das Herz in die Hosen, als wir zum Auftritt ge­schickt wurden.


    Aber es kam noch schlimmer. Nach den ersten Sätzen tönte es aus dem schwar­zen Loch: "Lauter!" Und dabei mussten wir im Spiel Heimlichkeiten besprechen. Oder sollten wir etwa brüllen: "Seid vorsichtig, seid leise!!!" Wir gaben uns alle erdenkliche Mühe, doch immer wieder rief jemand: Lauter! Andere zischten. Einmal wurde auch gepfiffen.
    Endlich Schluss. Mäßiger Anstandsbeifall. Wir schlichen von der Bühne wie geprügelte Hunde.


    Im Bus murmelte unser Spielleiter immer wieder: "Diese Schufte!" Aber er meinte nicht uns, sondern den Bühnenmeister und seine Mitarbeiter, die es ver­weigert hatten, uns auf der großen Bühne zur Probe einzuspielen. Unser Hardy, den wir Professor nannten, meinte trocken: "Das ist der pure Berufsneid. Die gönnten uns den Erfolg nicht."


    Fortsetzung folgt ...

    Bretter die die Welt bedeuten (Die Namen sind Decknamen)



    Ich durfte ein anderer Mensch sein
    Rudi (12-15)


    Ich stellte die Gewehrattrappe in die Ecke, löste den Kinnriemen meiner Bärenfellmütze und legte sie auf den Tisch. Dann zog ich die rotweiße Uniform eines Wachsoldaten der königlichen Garde aus und sah im Spiegel - einen traurigen jungen in Unterhosen.
    "Robinson soll nicht sterben" hieß das Stück. Wie erhebend war es doch eben noch gewesen, als ich ein ganz anderer Mensch sein durfte! Als kleines Rad in der Theatergruppe konnte ich mit den anderen zusammen Großes bewegen - zwei Stunden lang. Ich durfte in einer anderen Welt leben und das Publikum verzaubern. Ich - nein, wir - konnten die Menschen im Saal zum Lachen bringen und zum Staunen, konnten ihr Mitgefühl erregen, ihren Zorn auf den Bösewicht und ihre Freude am Sieg des Guten. –


    Nicht nur das Kostüm vollbrachte das, nein, wir konnten durch Mimik, Gestik, Sprache und unser ganzes Auftreten den Rollenfiguren glaubhaft Gestalt verleihen. Das alles gelang wie von selbst in unserer Spielgemeinschaft.


    Nach der Anspannung des Spiels kam dann der Lohn: Beifall, Anerkennung, Lob - von vielen fremden Menschen wie auch von Freunden. Vielleicht auch etwas Neid von Kameraden, die nicht - oder noch nicht - mitspielen durften.


    Und nun - die Ernüchterung: Der Junge in Unterhosen vor dem Spiegel. Der Alltag, das „normale“ Leben hatte uns wieder. - Alles vorbei'?


    Nein, nicht vorbei. Nur das Äußere. Die Schminke war weg, der Bart ab, das Kostüm ausgezogen. Aber im Inneren war etwas geblieben: Das Erfolgserlebnis, das erhöhte Selbstwertgefühl und der Mut zu neuen Leistungen. Gewachsen war die Fähigkeit, in einem Team zu arbeiten, sich zu beherrschen und sich anderen anzupassen.
    Das alles habe ich damals vor dem Spiegel natürlich noch nicht gewusst. Aber gefühlt habe ich es. Denn trotz der Traurigkeit darüber, wieder in die Alltagshosen steigen zu müssen, blieb in mir das stille Gefühl von stolzer Freude.


    War es da ein Wunder, dass ich immer wieder gern mitgespielt habe? Ich - und auch meine Kameraden.




    Ich musste vor Hunger sterben
    Erwin (10-15)


    Aber seitdem wurde ich anerkannt. Das ist kein Witz! -
    "Das dürre Land" handelt im alten China. Es war eine große Hungersnot. Ich spielte einen kleinen Jungen, völlig abgemagert und kraftlos, kurz vor dem Verhungern. In Wirklichkeit war ich ja auch so ein mickriger, dürrer Hecht, nur eine Achtelportion und wurde von meinen Kameraden nicht für voll genommen.


    Bisher hatte man mir auch noch nie eine Rolle zugetraut. Diesmal aber zeigte man spöttisch auf mich: Das kann der! Der sieht schon so verhungert aus! Ich muss die Rolle wohl gut gespielt haben. Die Frauen aus dem Mütterheim wischten sich die Tränen, als sie mich „sterben“ sahen. Der reiche Onkel hatte sich geweigert, meiner Familie und mir zu helfen - im Spiel natürlich. Das hätte ich am liebsten zwanzigmal gespielt. Bedauert werden ist ein ganz schönes Gefühl.


    Aber am schönsten war es, dass meine Kameraden mich seitdem nicht mehr als Nichtskönner und Schlappi verspotteten. Ich fühlte mich angenommen und bekam bei den nächsten Spielen immer größere und wichtigere Rollen. Zweimal sogar eine Hauptrolle. Zu sterben brauchte ich dabei Gott sei dank nicht wieder.


    Aber einmal musste ich mich verlieben, in eine Königstochter. Das war ein viel schöneres Gefühl als bedauert zu werden. Die liebliche Königstochter wurde von ihrem Vater gefragt, ob sie mich zum Mann nehmen wolle, weil ich eine Heldentat vollbracht hatte. Als Zeichen des Einverständnisses erlaubte uns das Textbuch nur: "Sie gibt ihm die Hand." Aber für mich Elfjährigen war das schon ganz toll.


    Leider durfte ich nur auf der Bühne ihr Geliebter sein. „In echt“ war meine Flamme nämlich für mich unerreichbar, weil sie einen festen, älteren Freund hatte. Das war aber kein Grund für mich, aus Liebe zu sterben. Der „Hungertod“ hatte mir schon gereicht.




    Klassische Musik machte es möglich
    Anita (14)


    "Die drei goldenen Haare des Teufels" heißt das Märchen. Darin gab es viele interessante Rollen, Hexen, Teufel und andere Märchengestalten. Ich sollte den Baum spielen, der eingeht, weil eine Wühlmaus seine Wurzeln gefressen hatte.


    Ich war total sauer. Bloß dastehen mit dunkelgrünem Umhang, keine Bewegung, kein Schritt, bloß einen traurigen Text labern. Am liebsten hätte ich alles hingeschmissen. - Aber ich wollte ja unbedingt mitspielen! Ich lernte also widerwillig den kurzen Text. Die erste Bühnenprobe war echt zum Kotzen. Ich dachte schon, jetzt werde ich gefeuert.
    Da sagte der Spielleiter: "Anita, das ist nicht deine Schuld. Komm nach dem Abendessen zu mir, wir machen das ganz anders."


    Ich war gespannt. Auf dem Tisch fand ich meinen Text, da waren so komische Trennstriche mit Bleistift eingefügt. Und das Tonbandgerät stand bereit. Ich las den Musiktitel: Edvard Grieg, Solvejgs Lied aus der Peer-Gynt-Suite. Das musste ich mir anhören.


    Solvejgs Lied Reinhören
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    "Ist bisschen traurig", dachte ich. Und dann: "Aha, das soll - das muss ja traurig klingen!" Mein Lehrer sprach mir ein kleines Stück vor. Jeder Bleistiftstrich bedeutete eine Sprechpause, während die Musik weiterlief. Nun sprach ich. Ich konnte es nicht fassen: Plötzlich lebte mein Text, ich fühlte ihn, erlebte ihn, ja, ich liebte meinen Text, gab mich ihm völlig hin.


    Doch das Schönste kam erst noch. Zwei Akte später musste der Baum wieder le­bendig werden, weil der Hans mit der Glückshaut durch die drei goldenen Haa­re des Teufels den bösen Zauber bannen konnte. Hier bekam ich als Musik, ebenfalls aus der Peer-Gynt-Suite von Grieg, die "Morgenstimmung". Ich brauchte keine Bleistiftstriche mehr. Es war, als würde die Musik mich führen, mich atmen lassen, mir die Schultern heben und die Arme und den Kopf. Am liebsten hätte ich mich von diesen Klängen wegtragen lassen. Die Rolle, die ich erst für doof gehalten hatte, wurde mir zum Erlebnis, und die Musik...- die wünschte ich mir zu Weihnachten als Schallplatte.


    Fortsetzung folgt ...