Beiträge von idenck im Thema „Pferde auf dem Immenhof / Reithalle“

    Und zu Niko gibt es Folgendes:


    Gute Nacht, Süßer!


    Im Sommerhalbjahr durften wir abends nach dem Abendbrot noch hinaus, ohne großartig über Ziel und Grund befragt zu werden. Viele Mädchen benutzten diese Zeit, um noch einmal zur Weide zu gehen. Sie brachten ihrem Lieblingspferd noch ein "Betthupferl", meist eine Scheibe Brot, notfalls auch nur eine handvoll Gras. Dann wurde der Liebling gestreichelt und in der Mähne gekrault, mit den Armen umhalst und zärtlich beklopft. Bei dieser Gelegenheit habe ich öfters beobachtet, dass der Abschied mit einem kräftigen Kuss besiegelt wurde.


    "Igittegit!", dachte ich bei mir etwas angeekelt. Wie kann man nur ein Pferd auf die Schnauze - Verzeihung! - auf die Nüstern küssen! So etwas könnte ich nie. Dachte ich. Aber es kam anders.


    Schneller als ich vermutet hatte, bekam ich eines Tages ein Pflegepferd. Das hatte einen Grund. Mein Pferd hieß Niko und war unbeliebt wegen seiner Mucken. Die meisten Reiter fühlten sich auf ihm nicht sicher und beim Striegeln musste man höllisch aufpassen, um nicht getreten oder geschlagen zu werden. Denn Niko war sehr schreckhaft.


    Ich hatte einmal gehört, dass so genannte «böse» Kinder viel Böses erlebt haben und eben deshalb «böse» wurden. Vielleicht war das bei meinem Niko auch so. Also nahm ich mir vor, besonders lieb zu ihm zu sein. - Mein Rechnung schien auch aufzugehen, denn Niko ließ sich von mir striegeln, putzen, Augen und Po waschen, aufzäumen und satteln. Keine Probleme - bei mir. Ich war richtig stolz. Und ohne daran gedacht zu haben, überraschte ich mich selbst dabei, dass ich ihm eines Abends die Nüstern küsste - ganz ohne Ekel, sondern so selbstverständlich, als sei er mein kleiner Bruder. - Eine Wahnsinnsvorstellung: Der Riese Niko - mein kleiner Bruder! Na ja, aber ich meinte das ja nicht in Bezug auf die Körpergröße.


    Von da an kriegte Niko von mir jeden Abend einen Kuss, nein, meistens nicht nur einen, sondern eine Serie von Küssen. Eines Abends hörte ich einen Jungen hinter mir sagen: "Ich möchte Niko sein." Ich erkannte Horst, der oft auf Niko geritten war und fast ebenso oft abgeworfen wurde. Deshalb antwortete ich: "Dann würdest du mich wohl genauso ärgern, wie er dich." - Ich glaubte, er sei neidisch, weil ich mit diesem Pferd besser zu Recht kam als er.


    Am nächsten Tag, als für das bevorstehende Reiten aufgesattelt worden war, umarmte ich Nikos Hals und sagte ihm liebevolle Worte ins Ohr: "Gut, Niko, brav!" Ich streichelte ihn und legte meine Wange auf seinen Hals. "Der hat's gut! Der möchte ich sein." Wieder war es die Stimme von Horst hinter mir. Da erkannte ich erst den Sinn seiner Worte: Er war tatsächlich neidisch auf die Zärtlichkeiten, die Niko von mir erhielt. - "Tut mir leid, Horst, aber dein Kopf ist mir zu klein - und meine Zärtlichkeiten sind nicht gut für einen dummen Jungen, der noch feucht hinter den Ohren ist." Mit rotem Kopf und irgendeinem hässlichen Wort, das ich nicht verstand, schob Horst ab und ließ mich beim Gute-Nacht-Sagen fortan allein bei Niko.


    Es tat mir eigentlich leid, dass ich den Jungen so barsch abgewiesen hatte, denn er war ein prima Kerl. Aber es ist doch ein himmelweiter Unterschied, ob ich das "Gute Nacht, mein Süßer" zu einem Pferd sage oder zu einem Jungen. Bei mir hat es jedenfalls noch viele Jahre gedauert, bis ich einen Mann für wert hielt, ihm abends diese Liebkosung ins Ohr zu flüstern.

    Da das Pferd Sissi hier erwähnt wird, hier eine weitere Geschichte aus Gummis Buch:



    Das größte Glück der Erde ... liegt auf dem Rücken der Pferde
    Ich kämpfte um ein Pflegepferd (Sissi)


    Schon an meinem zweiten "Immenhof-Tag" zog es mich mit aller Gewalt zur Weide, zu den Pferden. Es muss ein witziges Bild gewesen sein: Ich winzig kleine Berliner Göre mit Zöpfen, zu «Affenschaukeln» hochgebunden, zwar schon zwölf Jahre alt, aber dem Aussehen nach höchstens zehn. Dagegen die beiden «Riesen», der Schimmel Pali und die Fuchsstute Sissi! Obwohl ich in der Großstadt nie Kontakt mit Pferden gehabt hatte, spürte ich keine Angst. Sie fraßen mir aus der Hand, als ob wir alte Bekannte wären.


    So oft und so lange ich nur konnte, stromerte ich an der Weide und im Stall umher und nervte jeden mit meinen Fragen: "Darf ich auch mal?" Ich wollte alles mitmachen: Füttern, Striegeln und vor allem Reiten. Der Landwirt wies mich ab. Ich sei noch zu klein.


    Ich beobachtete einen großer Jungen, Maik, der war Pferdepfleger von Sissi. Er ging so liebevoll mit dem Pferd um, dass er mein großes Vorbild wurde. Bei allen Arbeiten durfte ich zusehen. Er zeigte und erklärte mir alles. Und das Tollste war: Er verriet mir, dass er bald entlassen würde und dass dann sein Pflegepferd frei würde. Ich wollte um dieses mein Pferd kämpfen, koste es, was es wolle!


    Doch noch immer sagte der Bauer nein. Als ich ihn flehentlich mit nassen Augen anschaute, meinte er: "Ich würde dir gern deinen Wunsch erfüllen. Aber Kind, dazu braucht man Kraft, viel Kraft. Die hast du eben noch nicht. Wenn dir etwas passiert, habe ich die Verantwortung." Entschieden sagte ich: "Aber ich hab doch Kraft!" - "Das will ich sehen", entgegnete der Bauer. "Dort die 20-Liter-Milchkanne - wenn du die voll Wasser bis zur Weide tragen kannst, dann hast du genug Kraft. Eher nicht."


    Er glaubte, dass er mich Quälgeist endgültig losgeworden wäre. Als ich die volle Kanne das erste Mal anhob, sank mir fast der Mut. Kurz anheben - das ging zwar, aber bis zur Weide, das waren doch über hundert Meter! Täglich mehrere Male hob ich die Kanne, lief zwei Schritte, dann fünf und bald auch mehr. Mit jedem Meter wuchs mein Selbstvertrauen. Bis ich eines Abends dem Bauern jubelnd zurief: "Ich kann's! Passen Sie auf!" Als ich die Kanne keuchend auf der Weide absetzte, hatte ich den Eindruck, dass meine Ärmchen einen halben Meter länger geworden waren. Aber, egal! Ich hatte es geschafft und der Bauer musste nun «ja» sagen. Ich war ab heute die Pflegerin von Sissi!


    Kein noch so wertvolles Weihnachtsgeschenk hätte mich reicher und glücklicher machen können. Kein Wunder, dass ich am Abend nicht einschlafen konnte. Ich mopste mir aus unserer Teeküche etwas übriggebliebenes Brot, nahm meine Tagesdecke und schlich mich unbemerkt in den Stall. Natürlich zu meiner Sissi. Damals war sie noch jung und legte sich zum Schlafen nieder. Ich kuschelte mich an sie, gab ihr die Leckerbissen und erzählte ihr meine Freude, bis ich - an ihren warmen Bauch geschmiegt - einschlief. Sissi war schlau genug, mich rechtzeitig zu wecken, so dass mein nächtlicher Ausflug nicht bemerkt wurde. Ich war noch so manche Nacht bei Sissi in der Box. Immer wenn ich Kummer hatte, konnte ich es ihr erzählen und sie hörte mir geduldig zu.


    Ob ich auf Sissi auch geritten bin? Was für eine Frage! Schon am dritten Tag nach meiner Ernennung zur Pferdepflegerin durfte ich auf ihr ohne Longe Galopp reiten. Auch bei Ausritten in den Wald war ich mit Sissi dabei und schließlich sogar bei einem großen Reitturnier in Bispingen und bei den Prüfungen für das Reiterabzeichen. Immer wieder musste ich daran denken, welches Glück ich dabei erleben durfte, als Heimkind solch eine Chance haben zu dürfen: ein eigenes Pflegepferd! Viele Familienkinder konnten mich darum nur beneiden. Natürlich war ich auch stolz auf meine Leistung, denn der Kampf um Sissi hatte mich viel Kraft gekostet.

    Irgendwann wurde dann die Reithalle gebaut. An die Abfolge der einzelnen Reitlehrer kann ich mich nur zum Teil erinnern. Zunächst war Frido G. dort zuständig, später kam eine Frau G., dann ein Reitlehrer, schlank mit Vollbart und später eine Siggi.

    Fotos von den Reitlehrern und Reitlehrerinnen

    Ich habe zu dem Thema "Pferde auf dem Immenhof" in Wolfgang Roth-Bernsteins Buch "Du kommst ins Heim!" einen Beitrag gefunden, den ich hier nun wiedergebe.



    Nächtliche Ausritte Tina (9-15)


    ... gab es auf dem Immenhof natürlich nicht - besser gesagt: durfte es nicht ge­ben. Aber bekanntlich macht das Verbotene am meisten Spaß. Der Umgang mit Pferden war für mich wie eine Sucht. Ich konnte nicht genug kriegen. Mittags eine Stunde, abends vielleicht noch eine und damit Schluss? Das reichte mir nicht.


    Da entdeckte ich, dass Holger, der Gehilfe des Bauern, früh um sieben zum Reinigen der Boxen und zum Füttern erschien. Also stand ich heimlich um sechs Uhr auf und erledigte seine Arbeit. Das merkte Holger natürlich. Verständlicherweise hatte er nichts dagegen. „Aber nicht weitersagen! Du bist ja noch ein Kind und Kinderarbeit ist verboten. Das Jugendamt darf davon nichts erfahren.“


    Ich und Kind! Ich war schon 13, bald 14! Ich war groß, schlank, sportlich und man hielt mich oft für einen Jungen. Ich konnte mit Anlauf ohne jede Hilfe auf den Rücken jedes Pferdes springen.


    Durch die Früharbeit konnte ich wieder etwas mehr Zeit mit meinen Pferden verbringen. Trotzdem reichte mir das immer noch nicht. Ich wollte vor allem mehr reiten, und zwar völlig frei, nicht in der Gruppe und unter Aufsicht. Frei über Wiesen, durch Wälder, „über die Prärie“.


    Also nachts? Das versuchte ich einmal, aber es ging schief. Zwei andere Pfer­denarren waren vor mir im Stall und sattelten gerade, als ich kam. Ich spürte sofort, dass ich ihnen ungelegen kam und verzog mich wieder. Auf dem Rückweg zu meiner Gruppe fiel mir ein, dass jenseits des Baches, der unsere Wiese durchquert, die Pferde eines reichen Fabrikanten auf nächtlicher Weide grasten. Etwas Brot und Zucker hatte ich noch bei mir. Also lief ich über den Steg und unter der Koppel durch und lockte die Pferde. Da sie mich nicht kannten, dauerte es eine Weile, bis ich sie füttern durfte. Dabei legte ich meinen Plan fest: Mindestens dreimal täglich wollte ich sie durch Leckereien an mich gewöhnen und dabei meinen Liebling aussuchen.


    Das war leichter als ich dachte. Sie waren wohl für die Abwechslung dankbar. Bald dehnte ich meine Aktionen zur Gewöhnung auch auf Nachtzeiten aus und nahm meine Freundin Petra mit. Sie war genauso ein Pferdenarr wie ich. Zu zweit ist es doch schöner, besonders nachts. Ich nannte meine Lieblingsstute Jennie. Ich durfte sie am Halfter fuhren und als ich mich zum ersten Mal an ihr hochstemmte, ließ sie es willig geschehen.
    Jetzt hatte ich mein eigenes Pferd für nächtliche Ausritte. Nur, ohne Zügel reiten? Petra hatte eine Idee.


    Beim sonnabendlichen Wäschesortieren wählten wir uns heimlich ein etwas abgenutztes Bettlaken aus und gingen bald darauf an die Arbeit. Wir rissen das Laken in lange Streifen. Je drei davon wurden grob geflochten. Fertig! Das Gefühl kann ich nicht beschreiben, als wir die Koppel zum ersten Mal ver­ließen und bei Halbmondschein in die Heide ritten, weit, immer weiter. Wir kannten uns gut aus und brauchten kaum auf den Weg zu achten. Nur die Freiheit genießen - unglaublich beglückend! Wie heißt doch dieser Spruch? „Das größte Glück der Erde liegt auf dem Rücken der Pferde.“ Und dazu die friedliche, nächtliche Stille!


    Das ging bis zum Herbst so, fast in jeder Nacht. Tagsüber waren wir manchmal müde. Aber niemand hat etwas gemerkt, keiner im Heim und auch der Besitzer der Pferde nicht. Wir haben ja stets alles in Ordnung hinterlassen. Einmal fragte mich eine andere Pferdepflegerin, ob ich zu einem nächtlichen Ausritt über den Immenhof mitkommen wollte. „Über den Immenhof? Nein danke, ich weiß Besseres nachts zu tun.“ Sie ahnte ja nichts von unseren Expeditionen und vermutete, dass ich mein Bett vorziehe. „Na, dann schlaf gut - du Träne!“ - Ich war nicht beleidigt, sondern schmun­zelte nur und dachte im Stillen: „Wenn du wüsstest, welche Ausritte wir unternehmen. Und was für ein tolles Pferd meine Jennie ist! Wir haben es doch viel besser als ihr.“


    Eines Nachts, es war schon recht herbstlich, ritten wir durch die Borsteler Kuh­len. Plötzlich verhielt Jennie in ihrem Schritt und beide Pferde blieben stehen. Das hatte Jenny ohne meinen Befehl noch nie getan. Ich lockte sie durch Schnalzen und Schenkeldruck, aber sie setzte ihre Hufe nur wenige Zentimeter vorwärts, verharrte wieder und gab einen Ton von sich, der wie ein leises Wiehern klang. „Jennie, was ist?“ flüsterte ich ihr zu. Sie schnaufte leise und scharrte mit dem rechten Vorderhuf. Ohne Zweifel, sie hatte etwas gewittert. Aber was? Beruhigend streichelte ich ihren Hals. Das half. Sie blieb völlig ruhig stehen. Aber was sollte ich machen? Was konnte das sein? Ein Wildschwein, ein Fuchs oder gar ein Mensch? - Hatte ich Angst?


    Ha! Ich und Angst? Das werden wir ja sehen! „Angriff ist die beste Verteidigung“, hatte ich einmal gehört. Also schnalzte ich laut und klatschte noch lauter in die Hände. Ich hatte Mühe, meine Jennie festzuhalten. Meinem „Feind“ gelang das offensichtlich nicht, denn vom Waldrand löste sich der schattenartige Umriss eines berittenen Pferdes, das panikartig davon galoppierte. Der kurze Blick hatte mir aber genügt, um das Immenhofpferd Jolli zu erkennen. „Hey, Jolli, brrrrr!“


    Ich bilde mir nicht ein, dass ich das Pferd dadurch zum Stehen gebracht habe. Vielmehr hat der Reiter - besser: die Reiterin! - das Pferd beruhigen und anhal­ten können. Meine Freundin, die mich erst kürzlich eine "Träne" genannt hatte, war auf den Geschmack des nächtlichen Ausreitens gekommen. Sie hatte bei meinem Zuruf meine Stimme erkannt. Wir erlaubten den Tieren, sich zu beschnuppern und ritten dann noch fast eine Stunde schweigend nebeneinander durch die Nacht. „Weißt du jetzt, was ich nachts «Besseres» zu tun habe?“ – „Ja, und die «Träne» nehme ich hiermit zurück.“


    Erst Wochen später, als ich einmal bei hellem Tage Jennie auf der Weide be­suchte, fiel mir das Brandzeichen bei ihr auf. Als Pferdenarr wusste ich einiger­maßen Bescheid: Jennie stammte aus edelstem Haus - ein echtes Trakehner Warmblut, wahnsinnig wertvoll, vermutlich hier zu Zuchtzwecken gehalten.


    Von da an begnügten wir uns mit unseren Immenhof-Pferden. Denn, wenn uns der Besitzer bei unseren nächtlichen Ausritten auf Jennie erwischen würde, .... - Nicht auszudenken!


    Für Pferdenarren habe ich noch weitere drei Beiträge vorbereitet. Einfach Bescheid geben!


    Hüa hopp!


    Inge idenck